Hugo van der Goes war einer der bedeutendsten flämischen Maler des 15. Jahrhunderts. Über sein Leben ist nur wenig bekannt, doch archivalische Hinweise deuten darauf hin, dass er vermutlich in Gent geboren wurde oder in der Nähe dieser Stadt lebte. Um 1467 trat er der Lukasgilde in Gent bei – der Zunft der Maler –, was auf eine etablierte Position in der städtischen Kunstszene hinweist. Später, um 1475, zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück und trat als Laienbruder ins Kloster Rood Klooster nahe Brüssel ein. Dort setzte er seine künstlerische Tätigkeit fort.
Van der Goes gehört zu den herausragenden Vertretern der altniederländischen Malerei. Er entwickelte einen sehr persönlichen, expressiven Stil, der sich durch intensive Farbgebung, komplexe Kompositionen und eine außergewöhnliche emotionale Tiefe auszeichnet. Seine Figuren zeigen oft eine starke psychologische Präsenz – mit ausdrucksstarken Gesichtern, die Mitgefühl, Ernst oder innerliche Ergriffenheit vermitteln.
Besonders markant ist sein Umgang mit Perspektive und Raum. Anders als viele seiner Vorgänger verwendete van der Goes Raum und Proportionen nicht nur zur realistischen Darstellung, sondern auch als Ausdrucksmittel für dramatische oder spirituelle Inhalte.
"Der Portinari-Altar", ca. 1478
Der Portinari-AltarDas bekannteste und bedeutendste Werk von Hugo van der Goes ist der "Portinari-Altar", ein Triptychon, das zwischen 1475 und 1478 entstand und heute in den Uffizien in Florenz zu sehen ist. Es wurde von dem Florentiner Bankier Tommaso Portinari für die Kirche Santa Maria Nuova in Auftrag gegeben. Das zentrale Bild zeigt die Geburt Christi in einer dramatischen, detailreichen Darstellung. Die Hirten, Maria, Joseph und Engel sind mit einer eindringlichen Ernsthaftigkeit und emotionaler Tiefe dargestellt, die für die damalige Zeit revolutionär war. Die Seitenflügel zeigen die Stifterfamilie und Heilige, ebenfalls mit großer Individualität und psychologischer Differenzierung. Das Werk hatte großen Einfluss auf die italienische Renaissance-Malerei, besonders auf Künstler wie Leonardo da Vinci.
In seinen letzten Lebensjahren soll van der Goes unter schweren psychischen Belastungen gelitten haben. Zeitgenössische Quellen, insbesondere der Chronist Gaspar Ofhuys, berichten von einer tiefen seelischen Krise und einem Nervenzusammenbruch, der möglicherweise zu seinem frühen Tod führte. Ob diese Berichte übertrieben oder symbolisch zu deuten sind, bleibt unklar, doch sie haben stark zum Bild des melancholischen, von Zweifeln geplagten Genies beigetragen.
Besonders einflussreich war seine Art, Götter als greifbare, menschliche Wesen darzustellen – nicht entrückt oder übermenschlich, sondern in Ruhe, Bewegung und mit zarten Emotionen. Seine Werke wirkten dadurch intim und lebensnah. Viele seiner Skulpturen – vor allem weibliche Akte – beeinflussten nicht nur die römische Kunst, sondern auch die Renaissance und den Neoklassizismus.
Hugo van der Goes hinterließ ein relativ schmales, aber äußerst einflussreiches Werk. Neben dem Portinari-Altar gelten Werke wie die "Anbetung der Könige" (Gemäldegalerie Berlin) oder die "Tod Mariens" (Brügge, Groeningemuseum) als Meisterstücke der spätgotischen Malerei. Sein Stil markiert einen Übergang von der gotischen zur frühneuzeitlichen Kunst, und seine emotionale Ausdruckskraft bereitete den Weg für eine neue, menschlichere Darstellungsweise in der religiösen Kunst.
Noch Jahrhunderte später wurde er von Künstlern und Kunsthistorikern bewundert. Hugo van der Goes bleibt einer der bedeutendsten Vertreter der flämischen Kunst und ein Pionier des psychologischen Realismus in der Malerei.
*"Portrait of a Man"
von Hugo van der Goes